Die Berichte

In den Silberminen von Potosi  (15.07. - 20.07.06)

Mächtig thront "der Berg" über der 4000 m hoch gelegenen Stadt. In der Mythologie der Andenvölker haben hohe Gipfel bis heute göttliche Bedeutung. 

Ein Tropfen für "Pachamama", für Mutter Erde, erklärt uns Rolando, unser einheimischer Führer und lässt den Becher mit 96% Alkohol herumgehen, nachdem er einen kleinen Spritzer als Opfergabe vergiesst. Mit zusammengekniffenen Augen stürzen wir den brennenden Stoff hinunter.

Wir stehen dichtgedrängt in dem kleinen Laden am Fusse des Berges, wo es alle Utensilien für den "Minero" zu kaufen gibt.

Wir sind am Anfang unserer Tour in die Minen und es ist üblich, den Arbeitern Geschenke mitzubringen. Wir kaufen einen Beutel mit Dynamit, Alkohol und einen Packen Kokablätter. Alles, was die mörderische Arbeit in dem Stollen erleichtert.

In grobe Schutzanzüge gesteckt, bewehrt mit Helm und Cabit-Lampen streben wir, etwas bang, dem Stolleneingang entgegen.

Unser "Guia", selbst ein ehemaliger Minenarbeiter, wird uns in den nächsten 2,5 Stunden fachkundig und einfühlsam einen Eindruck verschaffen, den wir unser ganzes Leben nicht vergessen werden.

Schon auf den ersten Metern wird mir ganz anders: Staub, Gestank und eine Ganghöhe von 1,60 m lassen nie da gewesene Klaustrophobie aufkommen. Im fahlen Lichtschein unserer Stirnlampen drängen wir im Gänsemarsch immer tiefer hinein in den heiligen Berg. Plötzlich von hinten lautes Geschrei und ohrenbetäubendes Gerumpel: Eine Lore kommt angedonnert, voll mit einer Tonne Geröll, geschoben von zwei Burschen, schweisstrieffend und die Backen prall gefüllt mit Koka. Es sind Männer, drahtige, gestählte Körper, ihr Alter etwa 14 Jahre. Wir kleben an der Wand, um von der Lore nicht überrollt zu werden. Weiter gehts in einen Seitengang, dem Heiligtum. Düster und mystisch thront er da, der "Tio", eine Teufelsfigur mit haemischen Gesichtszuegen und mächtigem Penis, bekränzt mit Opfergaben: Koka, Zigaretten und Konfetti. Ein grausiger Anblick, dem Gott der Unterwelt stattet jeder Minero vor seiner Arbeit einen Besuch ab, um seinen Groll nicht heraufzubeschwören, wenn er ihm seine Schätze entreisst.

"Kawumm!"- was war das? Der Berg erzittert von einer der unzähligen Explosionen in seinem Inneren. Gesprengt wird "nach Gehör", denn es gibt keine Pläne, wo der Berg schon durchlöchert wurde. Drei Männer treiben mit Hammer und Meissel ein 70 cm tiefes Loch in das Gestein, um eine Sprengung vorzubereiten, eine Arbeit, die acht Stunden in Anspruch nimmt. "Wie alt bist du, Junge?" fragt Rolando auf Quechua in respektvollem Ton. "Er ist 15 !" sagt der Bruder nach einer betretenen Pause, was natürlich nicht stimmt, denn er ist höchstens zwölf.

Nach einem schweisstreibenden Aufstieg auf allen Vieren hinauf durch einen schrägen Schacht treffen wir Juan. Seine Aufgabe ist es, 250 kg schwere Lastsäcke mit Geröll auszuleeren. Unser Führer legt grossen Wert darauf, dass wir einen lebendigen Eindruck von der Arbeit hier bekommen, also lege ich mit Hand an: Mit Mühe halte ich eine Viertelstunde durch, in gebückter Haltung die schweren Säcke zu schleifen, zerren und zu leeren. Der Schweiss rinnt mir in Bächen den Rücken runter. Das ist Wahnsinn! Die nächste Fuhre ist schon im Anmarsch und kein Ende in Sicht. Als wir uns von Juan verabschieden, bin ich still. Jetzt beim Schreiben treten mir noch die Tränen in die Augen. Er ist seit 20 Jahren im Berg und hat mit seinen 42 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung der Bergarbeiter schon überschritten.

Die meisten haben keine andere Wahl: Es gibt keine andere Arbeit, so wird die Tradition fortgeführt vom Vater zum Sohn. Dennoch sind sie stolz. Harte Männer, die von der Hoffnung leben, vielleicht doch dem Berg einmal ein kleines Vermögen entlocken zu können. Bezahlt wird nach Ertrag, der Abraum wird analysiert und je nach Gehalt an Silber, Zinn oder Blei die Fuhre bezahlt: Pro Monat zwischen 800 und 4000 Bolivianos (80-400 Euro)

Ich bin heilfroh, wieder ans Licht zu kommen. Ich schwöre mir, nie mehr über irgendwas zu jammern. Wochenlang noch begleitet uns dieser Eindruck, Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen Zivilisation und hoffnungsloser Tristesse, dem Glitzerleben der schönen bolivianischen Städte und dem trostlosen Altiplano. Hier in Bolivien begleiten uns auf Schritt und Tritt die Spuren der Conquista: In 300 Jahren nach der Ankunft der Spanier wurde der Berg gnadenlos geplündert, Potosi wuchs Anfang des 17. Jahrhunderts zur grössten Stadt Amerikas und unermessliche Schätze traten die Reise über den Atlantik nach Europa an. Traurige Bilanz dieser frühen "Globalisierung": 6 Millionen Indios liessen als Sklaven ihr Leben im "Cerro Rico", dem reichen Berg.